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IGS Einbeck

Zeitzeugin Rozetta Kats an der IGS Einbeck

„Ich habe mich vor mir versteckt“ Holocaust-Überlebende Rozette Kats zu Gast an der IGS Einbeck Einbeck 

„Am Abend vor meinem sechsten Geburtstag kam mein Vater zu mir und sagte: ,Wir sind nicht deine wirklichen Eltern und du hast einen anderen Namen.‘ Er erzählte mir vom Krieg, von der Jagd auf die Juden und dass meine Eltern Juden waren.“ Um sich verstecken zu können, gaben Rozette Kats‘ leibliche Eltern sie als Baby in die Obhut eines kinderlosen Ehepaares. Nur wenige Wochen später wurden ihre Eltern entdeckt und nach einem kurzen Aufenthalt in einem SS-Lager in Amsterdam nach Auschwitz deportiert. Rozettes Mutter wurde sofort mit ihrem neugeborenen Sohn in die Gaskammer gebracht. Rozettes Vater starb nach einem halben Jahr Zwangsarbeit im Konzentrationslager. Es ist die Geschichte eines Kindes, das den Holocaust überlebte. Eines Kindes, dessen Eltern von den Nazis deportiert und ermordet wurden. Es ist die Geschichte von Rozette Kats. Von ihr, und Millionen weiterer Juden. „Ich wurde 1942 geboren. Hätte ich es mir aussuchen können, wäre ich nicht das Kind jüdischer Eltern gewesen, denn es war sehr gefährlich“, so Kats. Die Behörden in Holland waren in den ersten Lebensjahren von Rozette Kats nazideutsch. Jede Person ab 16 Jahren musste eine Ausweis kaufen, bei Juden war ein großes J vermerkt. „Am Anfang waren die Soldaten freundlich, doch dann kam eine Maßnahme nach der anderen und den Juden wurde das Leben so unangenehm wie möglich gemacht. Sie waren im Park und im Kino verboten, sie verloren ihre Arbeit, jüdische Ärzte durften keine Nichtjuden mehr behandeln und andersrum.“ Hinzu kam, dass Juden allmählich in die großen Städte ziehen und immer einen gepackten Koffer parat haben mussten, falls sie zur Schwerstarbeit gerufen wurden. Am 2. Mai 1942 kam die Pflicht, dass alle Juden ab sechs Jahren mit einem Stern gekennzeichnet sein mussten in der Öffentlichkeit. Auf dem Stern gestickt: Jude. „Das war ein ekelhaftes Wort. Die Buchstaben sollten den Anschein der hebräischen Schrift geben“, so die Zeitzeugin. Einen solchen Stern hatte sie sogar mitgebracht und zeigte ihn den Schülerinnen und Schülern. „Wer einen Juden verriet, bekam siebeneinhalb Gulden von den Nazis. Heute wären das 59,21 Euro – der Preis eines Menschen.“ Nach einigen Stationen bekamen ihre Eltern schließlich die Gelegenheit, bei einer alleinstehenden Pflegerin unterzutauchen. Da Babygeschrei und -weinen zu sehr auffallen würden – besonders bei einer alleinstehenden Frau – mussten Rozettes Eltern sie anderweitig verstecken. Ein kinderloses Ehepaar erklärte sich bereit, die kleine Rozette aufzunehmen. Sie benannten sie in Rita um, damit sie nicht mit einem jüdischen Namen auffiel und trugen sie in ihr Familienbuch ein. „Darin waren bereits zwei tote Söhne eingetragen. Sie löschten den Eintrag des zweiten Kindes aus und trugen stattdessen mich als ihre Tochter Rita ein“, erzählte Kats und hielt das mitgebrachte Familienbuch in die Höhe. Das Schöne daran sei, dass nach all den Jahren der ausradierte Name des toten Sohnes wieder auftaucht. „Man kann ganz deutlich erkennen, dass bevor mein Name eingetragen wurde, dort ein anderer stand.“ Nachdem sie von ihrer wahren Herkunft erfahren hatte, habe sie einen Eimer im Bauch mit sich herumgetragen. Dort habe sie Wörter und ihre Angst versteckt. Auch ihr echter Name gehörte zu den Wörtern, die sie vor sich selbst versteckt hielt. Erst im Alter von 42 Jahren war sie dazu bereit, eine Therapie zu machen, um all das aufzuarbeiten. Mit 50 habe sie schließlich an einem Treffen teilgenommen, wo Juden zusammenkamen, die sich als Kinder vor den Nazis versteckt haben. „Ich habe mich selbst entdeckt und möchte meine Geschichte als Vorbild übertragen, wie es ablaufen kann“, sagte die HolocaustÜberlebende. Sie fügt ein Zitat an, welches den Rechtsextremismus in der NS-Zeit passend beschreibe: Manche haben es gedacht, manche haben es getan, aber alle haben es geschehen lassen. Auch heute blicke sie mit Sorge auf Antisemitismus in Deutschland. „Mach deinen Mund auf, schweige nicht. Das ist meine Botschaft an euch“, appellierte die Zeitzeugin.

Dieser Artikel von Leon Grüne ist in der Eule am 3. Februar 2024 erschienen.

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